Mama saß im Gras und schluchzte leise vor sich hin. Papa hatte die Augen zu zwei schmalen Schlitzen zusammengekniffen und starrte finster auf den glitzernd blauen See hinaus. Und Sami, mein kleiner Bruder, flitzte am Ufer hin und her und sammelte flache Steine zum Ditschen.
»Da sitzen wir nun!«, schnauzte Mama mich zwischen zwei Schluchzern an. »Vielen Dank, Matti!«
Das war kein echter Dank, sondern ironisch. Inzwischen kenne ich das von Mama. Ironisch ist, wenn man das Gegenteil von dem meint, was man sagt. Auch so etwas, was ich bei Erwachsenen nicht kapiere. Man kann doch auch gleich sagen, was man meint.
»Du hast unser Leben zerstört!«
Das war leider nicht ironisch. Dafür aber total übertrieben, schließlich lebten wir ja noch. Mein Onkel Kurt, Mamas großer Bruder, sagt immer, man muss vor allem das Schöne im Leben sehen. Und dass Mama das leider nicht so gut kann. Schade eigentlich, denn es war ein wunderschöner Sommertag. Die Sonne schien, die Mücken surrten, der Wind strich raschelnd durch die Birken, und vor uns lag dieser fantastische finnische See,über den Sami gerade seinen ersten Stein ditschen ließ. Fünf Ditscher. Sami kann es echt schon gut, obwohl er noch so klein ist.
»Was sollen wir denn jetzt machen?«, keifte Mama mich an.
»Hast du dir das mal überlegt? Hast du auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht?«
Gut, ich musste zugeben, dass wir ein paar Probleme hatten: Wir wussten nicht, wo wir übernachten sollten. Und Papa und Mama hatten keine Arbeit, deshalb reichte das Geld bestimmt nicht, um für längere Zeit in ein Hotel zu ziehen. Außerdem hatten wir kein Auto, was in Finnland echt ein Nachteil ist, denn Finnland ist sehr groß, und alles liegt weit auseinander, da kann man schlecht zu Fuß gehen. Schon gar nicht mit unseren sechs schweren Koffern und Taschen, die immer noch kreuz und quer im Gras lagen – Papa hatte sie wütend einfach irgendwo fallen lassen. Neben dem größten, Mamas blauem Rollkoffer, stand Samis kleiner Rucksack mit dem rosaroten Panther drauf, schön ordentlich und kerzengerade. So ist Sami.
Mama blickte durch ihren Tränenschleier zu Papa rüber. »Sulo, sag doch mal was!«
Also, das war wirklich albern, denn sie ist nun schon seit elf Jahren mit einem finnischen Mann verheiratet, nämlich seit meiner Geburt, deshalb müsste sie langsam wissen, dass finnische Männer fast nie etwas sagen. Man muss sich einfach vorstellen, was sie denken. Also stellte ich mir vor, dass Papa sich freute, nach so langer Zeit wieder in Finnland zu sein, dem Land, in dem er geboren wurde. Ich jedenfalls freute mich, denn für mich war es ja das erste Mal. Dumm war nur, dass Mama, Sami und ich kein Finnisch konnten. (Außer terve, hallo, und kiitos, danke.) Aber das würden wir schon noch lernen.
»Bis zum nächsten großen Ort sind es sieben Kilometer«, jammerte Mama.
»Fünfeinhalb«, informierte ich sie, denn ich hatte im Reiseführer nachgesehen.
Mamas Augen begannen vor Wut zu funkeln.
»Hör auf mit deiner ewigen Klugscheißerei, Matti!«, fuhr sie mich an. »Denk lieber mal darüber nach, was du getan hast! Ich will jetzt eine Stunde nichts mehr von dir hören, klar?«